Winterabenteuer: Mit Hundeschlitten durch Lappland

Fünf Tage, minus 30 Grad, nur endloses Weiß, die Hunde und wir – und ein wackeliges Gummiboot auf einem Fluss. Wir haben uns in ein schwedisches Winterabenteuer gestürtzt und sind mit Hundeschlitten durch Lappland gereist

Es ist stockdunkel als wir aufstehen. Sechs Uhr morgens, das Thermometer zeigt minus 29 Grad. An den Innenseiten des Schlafzimmerfensters ranken Eisblumen.

Unten im Frühstücksraum der Unterkunft gibt es heißen, schwarzen Kaffee. Wir sind in Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens, mitten im Dezember, dem dunkelsten Monat des Jahres. Bevor wir in die Kleiderschichten steigen, hobeln wir uns ein paar Scheiben vom Käsedreieck und belegen Knäckebrote. Drei Paar Socken übereinander, vier Lagen Pullover, doppelte Handschuhe, Thermo-Schneehosen. Unsere Füße stecken in riesigen Schneeschuhen.

Lappland-Outfit: Vier Pullover und Thermo-Schneehosen

Draußen vor dem Haus rattert schon ein kleiner Van in der morgendlichen Dunkelheit. Etwas unbeweglich hieven wir uns auf die Rückbank. Magnus heißt der Mann hinter dem Steuer. Er kurvt den Van jetzt durch die tiefverschneiten Straßen Kirunas. Magnus wird uns in den kommenden Tagen mit seinen Schlittenhunden hinaus in die verschneiten, eisigen Weiten Nordschwedens begleiten.

Eng zusammengerückt ruckeln wir über die verschneiten Straßen. Es ist eisig kalt im Van, die kleinen Gebläse vorne haben keine Chance gegen die arktische Kälte draußen. Unser Atem qualmt neblig vor unseren Gesichtern, die Scheiben gefrieren von innen, wir kratzen sie frei, um einen Blick auf die vorbeiziehende Landschaft zu erhaschen.

Die Straßen hier in Nordschweden sind Eispisten

Räumfahrzeuge gibt es hier oben nicht, der Schnee auf den Straßen wird lediglich festgewalzt. Die wenigen Autos, die hier fahren, haben Spikes. Rutschen gehört trotzdem dazu, dass das Heck ausbricht auch. Hier landen sogar die Flugzeuge auf einer eisigen Schneepiste auf dem winzigen Flughafen.

Magnus stoppt in einer kleinen Waldeinfahrt. Hier oben ist der Wald eher eine lose Ansammlung an niedrigen, etwas zerzausten Stämmchen, die mit zittrigen Ästen den langen Wintern trotzen. Wir hören die Schlittenhunde aufgeregt bellen, als wir aussteigen. Sie heulen durch die verschneite Landschaft und wedeln uns entgegen. Magnus geht mit schnellen Schritten, begrüßt sein Rudel, stellt Schlitten und Gespanne auf und verstaut unser Gepäck auf dem Schneemobil.

„Nicht zu lange stehen bleiben, bewegt Euch“, mahnt er uns zwinkernd. Wir hüpfen auf der Stelle. Vor Vorfreude, aber auch, weil die Kälte bei knapp minus 30 Grad minutenschnell durch die dicken Klamottenschichten kriecht.

Die Hunde werden vor die Schlitten gespannt

„So!“, ruft Magnus, „gleich geht’s los!“. Zwei Leute pro Schlitten, einer sitzt vorne drauf, der andere steht dahinter auf den Kufen und betätigt die Bremse: Tritt er die kleine Metallkralle in den Schnee, signalisiert er den Hunden, anzuhalten, löst er die Bremse, rennen sie wieder los. Und sie wollen rennen.

Magnus spannt die Hunde vor die Schlitten, jeweils sechs vor jeden. Die kleinen, zähen Tiere kläffen und drängeln und ziehen an den Leinen.

„Alle bereit?“ ruft Magnus. Alle bereit!

Magus startet das Schneemobil. Er wird vorausfahren und die Strecke spuren. Dazu hat er ein Gitter hinter das Gefährt gespannt, das den Schnee plättet. Die kleinen Hunde würden sonst samt Schlitten in der Schneedecke versinken. Magnus gibt das Startzeichen, wir lösen die Bremsen, geben den Schlitten einen leichten Rück – dann sprinten die Hunde los.

Der Fahrtwind beißt uns ins Gesicht

Die Kälte wird zum eisigen Fahrtwind, das Hundegebell hallt durch die tiefverschneite Landschaft, die muskulösen Beinchen fliegen über den Schnee. Wir kneifen die Augen zusammen, die Geschwindigkeit beißt uns ins Gesicht. Es ist schneller und wackeliger als gedacht, man muss sich gut am Schlittengestell festhalten. Bloß nicht runterfallen.

Wir gleiten zwischen den Bäumchen dahin. Nach einigen Kilometern wird das Bellen der Hunde leiser, sie rennen stattdessen in vollem Galopp. Magnus ist schon längst außer Sichtweite, auch der Abstand zwischen unseren Gespannen vergrößert sich, während sich die morgendliche Dunkelheit in ein intensives Blau verwandelt.

Die Hände sind eisig kalt, eher komplett taub, der Wald wird dünner und vor uns breitet sich langsam eine weite, weiße Ebene aus. So still und klar, dass es einem den Atem verschlägt. Bei minus 30 Grad ist das mit dem Atmen ohnehin schwierig: Trotz Schal über Mund und Nase, fegt uns die Kälte unerbittlich entgegen, gräbt sich durch den Stoff, brennt durch den Schlitz für die Augen.

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140 Kilometer nördlich des Polarkreises geht die Sonne nicht auf

Wir fliegen dahin, die Hunde laufen unermüdlich und der Himmel im Süden färbt sich sanft rosa, als würde die Morgensonne bald über dem schneeweißen Horizont aufgehen. Aber sie wird nicht aufgehen. Um diese Jahreszeit kommt die Sonne 140 Kilometer nördlich des Polarkreises nicht mehr über den Horizont hinaus. Die hellste Zeit des Tages dauert nur etwa zwei Stunden und taucht das Land in ein diffuses Licht aus Morgenstimmung und Abenddämmerung: Im Süden kann man die Sonne erahnen, im Norden hingegen hängt dunkles Nachtblau. Kaum ist es annähernd hell, wird es auch schon wieder dunkel.

Neben uns taucht ein zugefrorener See auf, mit Schnee bedeckt. In der Ferne zieht sich eine niedrige Hügelkette am Horizont entlang. Ein paar wenige Vögel staksen durch den Schnee. Wie die wohl in dieser erbarmungslosen Kälte überleben und über den langen Winter Nahrung finden?

Magnus ist immer noch nicht wieder vor uns aufgetaucht, aber die Hunde folgen brav seiner Spur. Er hatte uns gut vorbereitet: Bei kleineren Anstiegen springen die Schlittenführer von den Kufen und helfen den Hunden, indem sie den Schlitten anschieben. Aber wir rennen manchmal auch freiwillig neben den Schlitten her, um uns aufzuwärmen. Hände und Füße sind trotzdem taub und die Akkus der Kameras funktionieren bei der Kälte auch nicht mehr, wir stecken sie in unsere Jacken, um sie aufzutauen.

An unseren Wimpern glitzern dicke Eiskristalle

Der Atem kreiert glitzernde Eiskristalle auf Mütze und Schal und wird zu Eisklümpchen an Wimpern und Augenbrauen. Da hilft nur, Hände aus den Handschuhen pellen und die Eiskristalle an den Wimpern wieder abtauen, bevor die Augen zufrieren.

Die Landschaft ähnelt einem großen, weißen Meer, das jemand hier hingemalt hat, mit Hügelwellen und Schneekronen. Irgendwann taucht auch Magnus wieder auf, fegt in seinem Schneemobil an uns vorbei nach hinten bis zum letzten Gespann: „Alles ok?“ ruft er im Vorbeifahren. Alles bestens!

Wir fahren weiter, für Pausen ist es zu kalt. Weiterfahren, schauen, staunen, atmen. Die hellste Phase des Tages haben wir vermutlich schon überschritten. In der Weite des Nordens bekommen Zeit und Raum eine ganz neue Dimension. Es gibt dort nur die Kälte und den Willen, jetzt nicht anzuhalten und zu erstarren, sondern am Ziel in dieser kargen, weißen Welt anzukommen.

Dann taucht Magnus in der dunkelblauen Dämmerung vor uns auf. Er hat das Schneemobil neben einigen Hundehütten geparkt. Wir stellen die Schlitten ab. Zum ersten Mal seit vielen Stunden. Sechs kleine Hunde werden ausführlich gestreichelt und gelobt, das ganze Rudel liegt hechelnd im Schnee und stürzt sich auf das Fressen, das Magnus ihnen hinstellt. Sie werden über Nacht hier bleiben, erklärt Magnus. Und wir? „Wir müssen noch über den Fluss“, sagt Magnus, schnappt seine Tasche und stapft los.

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Bei Minus 30 Grad steigen wir in ein wackeliges Gummiboot

Wir stapfen hinterher. Und dann stehen wir plötzlich auf Eisschollen, am Ufer eines dampfenden Flusses, über 20 Meter breit, der sich wie eine dunkle Ader durch die weiße Landschaft zieht. Magnus klopft Schnee von einem grauen Gummiboot und zieht es an die Eiskante des Flusses. In einem solchen Moment will man einfach nur nach Hause. Aufwärmen, essen, trinken, aufs Sofa legen. Aber wir steigen bei minus 30 Grad, meilenweit entfernt von jeglicher Zivilisation, in ein wackeliges Gummiboot und lassen uns im Halbdunkeln über einen dampfenden Fluss rudern, während rechts und links Eisschollen vorbei treiben. Gut, dass es zu kalt ist, um Angst zu haben. Es schwankt, es gluckert, es wackelt und Magnus rudert und lenkt und versucht es mit ein paar Witzchen, bevor wir auf der anderen Seite an Land kraxeln.

Endlich gibt es Pasta – mit Rentierfleischsauce

Durch die Bäume sehen wir ein Licht schimmern. Ein Haus! Drinnen empfängt uns Johann, ein kerniger, blonder Schwede in Lederweste, mit dampfend heißem Tee und Pepparkakor. Im Kamin knackt ein loderndes Feuer, auf dem Herd steht Pasta mit Rentierfleischsauce bereit. So langsam tauen wir auf, mit roten Backen sitzen wir am Tisch und lassen uns die Teller wieder und wieder füllen. Es fühlt sich an, als sei es schon spät Abends, es ist aber erst später Nachmittag. Nur eben dunkel.

Später gibt es Saunagänge mit kaltem Dosenbier, wir werfen uns in den Schnee, es brennt unter den Füßen. Und als wäre es nicht ohnehin schon märchenhaft, da tauchen über den Baumwipfeln ein paar zarte Nordlichter auf, schwimmen schüchtern über den Himmel und verschwinden wieder. Aber sie waren da! Am nächsten Morgen sind unsere Handtücher steif gefroren, es ist dunkel und eiskalt draußen und drinnen serviert Johann heißen Kaffee zum Frühstück. Wir haben noch einige Tage vor uns, schlüpfen in unsere Kleiderschichten und treten vor die Türe. Drüben, auf der anderen Seite des dampfenden Flusses hören wir schon die Hunde bellen. Ihr Kläffen hallt durch den Morgen und wir machen uns auf den Weg in einen neuen, aufregend faszinierenden Tag, draußen in den eisigen Weiten Lapplands.

 

Fotos: Hejsson; Per Lundström, Hans-Olof Utsi, Staffan Widstrand, Anna Öhlund/imagebank.sweden.se; Drozniak

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