Wer auf schnulzige Filme steht, wird diese schwedischen Reiseziele lieben: Ein Besuch bei den Drehorten der Inga Lindström-Filme.
Alleine der Name klingt nach Bilderbuch: Inga Lindström. Das klingt nach kleinen, roten Häusern, nach weichgezeichneten Bächlein, die durch üppige Wiesen und lichte Wälder zum nächsten glitzernden See plätschern, an dem fröhliche Kinder bergeweise Fleischbällchen essen, bevor sie mit windverwehten Haaren auf ihre Pferde steigen und durch die blühende Natur davon traben. Die Figuren in der ZDF-Schnulzenserie Inga Lindström bewegen sich vorzugsweise auf Pferden oder Fahrrädern, am liebsten aber in offenen Cabrios, wenn sie nicht gerade in Vintage-Booten über die Wellen schippern. Über ihnen strahlt die Sonne lauwarm vom blau-weißen Schwedenhimmel. Und immer geht es um die Liebe. Um große Gefühle und ebenso großen Schmerz. Aber am Ende wird alles gut. Für manche unerträgliche Fernseh-Romantik, für andere ein Grund, sich wegzuträumen.
Die Drehbuchautorin heißt allerdings nicht Inga Lindström, sondern Christiane Sadlo und kommt aus dem süddeutschen Städtchen Ravensburg. Weil das für die deutsche Romantiker-Seele zu bodenständig klingt, benannte sie sich nach der fröhlichen Inga aus Astrid Lindgrens Kinder von Büllerbü – die im schwedischen Original übrigens Anna heißt – und wählte den Nachnamen Lindström, der für deutsche Ohren so schön schwedisch klingt. Die Sehnsucht der Deutschen nach Büllerbüland scheint groß. Rund sechs Millionen Menschen schalten Sonntagsabends den schwedischen Sommertraum ein.
Gedreht wird die Reihe seit 2003 in der historischen Provinz Sörmland rund um das Städtchen Nyköping, südwestlich von Stockholm. Hier stehen besonders viele rote Häuschen herum, als liege Bullerbü direkt ums Eck. Die Dichte an malerischen Seen und idyllischem Kleinstadt-Flair ist hoch. Dabei tauchen die Schweden ihre Häuser nicht aus romantischen Gründen in den roten Farbeimer, sondern weil das traditionelle Falun-Rot reich an Mineralien ist und Hauswände so wirksam vor Feuchtigkeit schützt. Die reichen Leute strichen ihre Häuser hingegen in schickem, teurerem Vanillegelb.
Ob Rot, Gelb oder lieber gleich ein ganzes Schloss: Um den Deutschen den Schwedentraum aufs heimische Sofa zu liefern, belagert das etwa 50-köpfige Bavaria-Filmteam jeden Sommer die schönsten Drehorte in Sörmland. Crew-Wägen schneisen sich durch Blumenwiesen, Sportwagen und LKW werden angekarrt und, wenn es das Drehbuch so will, auch Riesenboote und Flugzeuge. Immer im Mai beginnen die Dreharbeiten, wenn Flieder und Zierkirschen in zartem Lila und Rosé blühen und sich die Landschaft von ihrer üppigsten Seite zeigt. Etwa einen Film pro Monat produziert das Filmteam bis Oktober, um den Deutschen genügend Stoff zum Träumen zu liefern. 90 Minuten Gefühle – und ein Werbefilm für das Leben auf dem schwedischen Land.
Überdurchschnittlich viele Gutshöfe verbaut Sadlo in den Geschichten. So dient etwa das Taxinge Schloss als feudalen Kulisse für die Folge „Der Weg zu Dir“. Hier drehte auch Ingmar Bergmann 1982 seinen Film „Fanny und Alexander“. In einigen Räumen hängen noch immer seine schweren, roten Vorhänge. Wer zum Drehort reist, kann sich im Erdgeschoss an einem überdimensionalen Kuchenbüffet durch sahnig-süße Backwerke und fluffige Baiser-Torten naschen. Einige Kilometer weiter, in Ålberga, liegt die Wreta Gestgifveri, Kulisse für die Lindström-Folge „In deinem Leben“. In dem liebevoll restaurierten Gutshaus lädt normalweise der schwedische Nobelpreis-Koch Niklas Hellsing zu Tisch, der gemeinsam mit seiner Frau Malin Restaurant und Hotel betreibt.
Seitdem es die Fernsehreihe gibt, sei die Zahl der deutschen Touristen in der Region deutlich gestiegen, erklärt Åsa Malmquist vom Touristenbüro Sörmland. Stockholm ist nicht weit, es gibt Karten, auf denen die Drehorte eingezeichnet sind und geführte Lindström-Touren. Und wenn der Deutsche schon mal da ist, macht er noch einen Schlenker zum Schloss Gripsholm, dass untrennbar mit Kurt Tucholsky verbunden ist. Oder er besucht wenige Kilometer weiter, in Julita Gård, den Hof von Petterson und Findus, den lustigen Figuren aus den Bilderbüchern von Sven Nordquist.
Die Landschaft und die Städtchen spielen eine der Hauptrollen. In fast jeder Folge glänzen die Stockholmer Häuserfassaden im Vorspann, auch der Marktplatz von Nyköping taucht beständig auf. In dem gelb-weißen Rathaus, direkt daneben, sitzt Erik Lindhe. Er vergibt seit vielen Jahren die Drehgenehmigungen. Die Bewohner der Gegend seien längst an die Filmteams gewöhnt, die hier jeden Sommer plötzlich auftauchen, erklärt er. Auch wenn die wenigsten Einheimischen die Filme sehen könnten, denn in Schweden werden sie nicht ausgestrahlt. Dennoch übernähmen viele gerne eine der rund 750 Statistenrollen, die jährlich gesucht werden.
Es ist ein galanter Tausch: Die Deutschen bekommen romantisches Landleben – die Region einen wirtschaftlichen Schubs. Ein bis zwei Millionen Euro gibt die Produktionsfirma jährlich für Drehortmieten, Catering, Übernachtungen und Transport vor Ort aus, bevor die Schwedenidylle über die deutschen Bildschirme flackert. Ein Teil des Budgets landet auch immer in Trosa, einem Bilderbuch-Örtchen mit knapp 5000 Einwohnern. Es ist ein beliebtes Sommerziel für wohlhabende Stockholmer und begehrte Lindström-Kulisse: Der kleine Kanal, das niedliche Rathaus, die Häuschen, die so niedrig sind, dass man sich fast den Kopf an den Regenrinnen stößt, oder das historische Stadthotel tauchen in Folgen wie „Die Frau am Leuchtturm“, „Der Weg zu Dir“ oder „Inselsommer“ auf.
Über 70 Inga Lindström-Filme gibt es mittlerweile. Fast jeder deutsche Schauspieler darf mal in die pastellfarbenen Sommerkleider schlüpfen und wohlklingende Namen wie Hellström, Berggren oder Dahlström tragen. Sadlo lässt sich immer neue Liebesgeschichten einfallen. Sie stillen die Sehnsucht nach einer heilen Welt, in der die große Liebe plötzlich hinter der nächsten Birke auftaucht, zum Umfallen gut aussieht und Arzt, Anwalt oder erfolgreicher Maler ist. Dass der echte Himmel über Schweden auch oft grau und regnerisch ist und jedem Sommer ein langer, dunkler Winter folgt, darf man Sonntagabends also getrost vergessen, wenn eine neue Folge Lindström-Romantik für ewigen Sommer in deutschen Wohnzimmern sorgt.
Fotos: Hejsson